Schreiben als Weg zu mehr Selbstmitgefühl
Wie Worte heilen, stärken und verbinden
Wir leben in einer Welt, die von Leistung, Vergleich und Selbstoptimierung geprägt ist. Da verlieren wir oft den mitfühlenden Blick auf uns selbst. Wir kritisieren uns, zweifeln an unseren Entscheidungen und stellen unsere Gefühle infrage. Doch es gibt eine stille, kraftvolle Methode, um zurückzufinden, zu uns selbst und zu mehr Freundlichkeit im Inneren: das Schreiben.
Aber zunächst einmal…was ist eigentlich Selbstmitgefühl?
Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst in schwierigen Momenten mit der gleichen Wärme und Fürsorge zu begegnen, die wir einem guten Freund schenken würden. Statt sich zu verurteilen, erkennen wir an: Ich leide – und das ist menschlich. Die Psychologin und Autorin Kristin Neff beschreibt Selbstmitgefühl als eine Haltung, die Achtsamkeit, Selbstfreundlichkeit und das Bewusstsein gemeinsamen Menschseins verbindet.
Hier fasse ich die wichtigsten Aussagen über Selbstmitgefühl zusammen, die Kristin Neff in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt.
- Selbstmitgefühl ist kein Selbstmitleid
Selbstmitgefühl bedeutet nicht, sich selbst zu bemitleiden oder sich hängen zu lassen – sondern sich liebevoll, ehrlich und unterstützend zu begegnen, besonders in schwierigen Momenten.
- Selbstkritik ist nicht motivierend, sondern schädlich
Viele glauben, Selbstkritik bringe Disziplin und Leistung. Neff zeigt: Selbstmitgefühl motiviert nachhaltiger, weil es auf Selbstfürsorge statt auf Angst basiert.
- Selbstmitgefühl hat drei Kernkomponenten:
Achtsamkeit: Das, was ist, bewusst wahrnehmen, ohne es zu übertreiben oder zu unterdrücken
Selbstfreundlichkeit: Statt sich zu verurteilen: liebevoll mit sich sprechen und handeln
Gemeinsames Menschsein (Common Humanity): Erkennen, dass Leiden, Fehler und Unvollkommenheit zum Menschsein gehören, wir sind nicht allein mit unseren Problemen
- Man kann Selbstmitgefühl lernen und trainieren
Selbstmitgefühl ist keine angeborene Eigenschaft, sondern eine Fähigkeit, vergleichbar mit einem Muskel, der durch Übungen gestärkt werden kann.
- Mitgefühl mit sich selbst verbessert Beziehungen zu anderen
Wer mit sich selbst ehrlich und freundlich umgeht, wird auch mitfühlender mit anderen und umgekehrt.
- Selbstmitgefühl bedeutet Stärke, nicht Schwäche
Es ist eine aktive innere Haltung, die Mut braucht: Den Mut, sich dem Schmerz zuzuwenden und sich selbst Halt zu geben.
- Der innere Kritiker kann umgewandelt werden
Durch Achtsamkeit und Mitgefühl kann man lernen, den inneren Kritiker zu erkennen, ihm zuzuhören und ihn in einen inneren Unterstützer zu verwandeln.
Warum Schreiben ein Schlüssel zu mehr Selbstmitgefühl sein kann
Schreiben bringt Klarheit, aber mehr noch: Es gibt unserer inneren Stimme Raum. Wenn wir schreiben, verlangsamen wir den Gedankenstrom, beobachten bewusster, was in uns vorgeht. Dieser Akt der Aufmerksamkeit ist bereits ein erster Schritt zur Selbstzuwendung.
Schreiben schafft Verbindung zu uns selbst
Beim Schreiben kommen Gedanken und Gefühle, die oft ungehört bleiben, aufs Papier. Was verborgen war, darf gesehen werden, ohne Zensur und ohne Urteil. Das Aufschreiben macht unser Inneres sichtbar und begreifbar. Daraus kann Mitgefühl für unser Innenleben entstehen.
Schreiben unterbricht den inneren Kritiker
Indem wir die Stimme des „inneren Kritikers“ aufschreiben, können wir sie von außen betrachten. Wir erkennen, wie hart wir manchmal mit uns selbst sprechen und wie wir liebevoller antworten könnten. Schreiben kann ein Dialog werden: zwischen Angst und Mut, Kritik und Verständnis.
Schreiben macht Selbstmitgefühl erfahrbar
Ein Brief an das eigene verletzte Ich, eine Liste der eigenen Bedürfnisse, ein tägliches Dankbarkeitstagebuch, all das sind Wege, um sich Zuwendung in Form von Sprache zu schenken. Durch wiederholtes Schreiben kultivieren wir Mitgefühl wie einen inneren Garten.
Drei Schreibimpulse für mehr Selbstmitgefühl:
- Der mitfühlende Brief
Schreibe dir selbst einen Brief, als wärst du dein bester Freund oder deine beste Freundin. Was würdest du dir sagen, wenn du gerade leidest oder zweifelst? - Was ich mir lange nicht erlaubt habe zu fühlen …
Setze den Satz fort und schreibe zehn Minuten ohne Pause. Lass dich überraschen, was auftaucht. - Ein Brief an mein inneres Kind
Welche Worte hätte dein jüngeres Ich damals gebraucht, in schwierigen Phasen, bei Herausforderungen, Konflikten? Schreibe sie jetzt, ehrlich, liebevoll, heilsam.
Fazit
Selbstmitgefühl ist keine Selbstverständlichkeit, aber eine Praxis, die uns stärken und trösten kann. Schreiben hilft uns, diese Praxis zu verinnerlichen. Es lädt uns ein, langsamer zu werden, ehrlich hinzusehen und uns selbst mit neuen Augen zu begegnen. Vielleicht mit milderen. Und manchmal beginnen heilende Prozesse mit Stift und Papier.